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Erbe von Hans-Günther Klein

Im April 2016 verstarb Hans-Günter Klein, der die hms in seinem Nachlass großzügig bedacht hat. Zu dem Erbe gehörten zwei Wohnungen, von denen die hms inzwischen eine verkauft hat. Infolge der augenblicklichen Situation auf dem Wohnungsmarkt konnte dabei ein sehr hoher
Preis erzielt werden, was für die hms einen  erheblichen Vermögenszuwachs von insgesamt über 800.000 Euro bedeutete.


Dr. Hans-Günter Klein

24. November 1939 — 7. April 2016

Hans-Günter Klein

Foto: privat


Trauerrede für Hans-Günter Klein

von Detlef Mücke
gehalten am 22. Juni 2016 in der Remise der Mendelssohn-Gesellschaft

Liebe Freundinnen und Freunde von Hans-Günter Klein,
liebe Trauergäste,

wir nehmen heute Abschied von Hans-Günter Klein,

  • Abschied von einem Freund,
  • Abschied von einem Kollegen,
  • Abschied von einem Musik­wissen­schaftler, der ins­beson­dere zu Felix Mendels­sohn Bartholdy, Fanny Hensel und der musica reanimata forschte,
  • Abschied von einem Humanisten, der Kurt Hiller sehr nahe stand,
  • Abschied von einem Menschen, dem Kultur sehr viel bedeutete.

Jede und jeder von uns hier im Raum hat seine eigene Erinnerung an Hans-Günter. Jede und jeder seinen eigenen persönlichen Bezug zu ihm. 

Sein Freundeskreis ging weit über Berlin und Deutschland ins euro­päische und außer­euro­päische Aus­land.

Ich persön­lich lernte Hans-Günter im Jahr 1972 kennen. Seit 1974 wohnten wir in der Schlüterstraße zusammen.

HGK war 1939 in Berlin als 2. Sohn seiner Eltern geboren. Kriegs­bedingt war die Familie nach Köslin gezogen und 1945 nach Ratze­burg ge­flüchtet. Der Vater über­lebte den Bomben­angriff auf Dresden 1945 nicht und wurde später für tot erklärt. Die Mutter zog beide Söhne in Ratze­burg auf, wo HGK zur Schule ging und sein Abitur ablegte. Sein Studium führte ihn nach Hamburg, wo er zu­nächst dem bürger­lichen Wunsch der Mutter nachkam, ein „anständiges Fach“ zu studieren: Jura. Nach 3 Semestern erkannte er, dass dies in keiner Weise seinen Inter­essen ent­sprach und wechselte gegen den Willen der Mutter zum Studium der Musik­wissen­schaft, Philo­so­phie und Kunst­geschichte.

In Hamburg begegnete er Kurt Hiller und die Beziehung zu ihm prägte sehr stark seine Ein­stellung zu Kultur, Wissen­schaft, Poli­tik, Geschichte und Emanzi­pations­bewegun­gen der frühen Bundes­republik. Am 20. Oktober 1970 verlieh ihm der Fach­bereich Kultur­geschichte und Kultur von der Uni­versi­tät Hamburg den Titel und die Würde eines „Dr. der Philo­so­phie“. Am 1. Juli 1969 trat er in der Berliner Staats­biblio­thek an, absol­vierte sein Referen­dariat in Berlin, Marburg und Köln und avancierte schließ­lich zum Bibliotheks­oberrat. In dieser Funktion war er stell­ver­treten­der Leiter der Musik­abtei­lung und Leiter des Mendels­sohn-Archivs. „Er war ein gründ­licher und respekt­voller Kenner und Lieb­haber der Schätze und Bestände in der Musik­abtei­lung der Staats­biblio­thek zu Berlin und ver­mittelte sie sicher, um­sichtig und phantasie­voll.“ – so beschreibt ihn ein Kollege in der Staats­bibliothek.

Im Privaten setzte er sich ein weite­res Mal über bürger­liche Normen hinweg und beschloss im Juni 1972, eine Wohn­gemein­schaft zu gründen. Er wohnte mit Männern zusammen, die sich ehren­amt­lich gegen die Dis­krimi­nierung am Arbeits­platz wegen der sexuellen Orien­tierung oder gegen die Aus­grenzung wegen Erkran­kung mit HIV und AIDS ein­setzten. Er selbst gründete dort mit Freunden die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und bewahrte damit das Erbe von Kurt Hiller. Andere Mit­bewohner grün­deten in der WG das Schwule Museum* Berlin. Die WG in der Schlüter­straße in Berlin-Charlotten­burg war in den 70er und 80er Jahren einer der Mittel­punkte der Eman­zipations­bewegung in Berlin.

Im Dienst achtete HGK korrekt auf die Tren­nung von Dienst­lichem und Privatem.
Im Privaten dagegen bestimmte auch das Dienst­liche seinen All­tag und seine Frei­zeit.
Das Interesse an der Mendels­sohn-Familie und an musica reanimata füllte seine Frei­zeit aus. Die zahl­reichen Publi­katio­nen geben ein beredtes Zeugnis.

HGK reiste sehr gern und viel. Auf seinen vielen Reisen gingen ihm die Mendels­sohns nicht aus dem Kopf. Die Mendels­sohns in Italien, in der Schweiz… Wie viele Wande­rungen unter­nahm er im Urlaub, um heraus­zu­finden, von welchem Stand­punkt genau Felix eine bestimmte Skizze gefertigt hatte oder ob sich heute noch Spuren eines Besuchs nach­zeichnen lassen, den Fanny Hensel in ihren Briefen beschrieb. Im Urlaub bedeu­teten ihm die Besuche von Museen und Archiven Arbeit und Ent­spannung zugleich, wenn er z. B. auf eine „Trouvaille“ stieß.

An Kultur, Geschichte, Theater und Oper inter­essiert, plante er seine Reisen so, dass er in klei­neren Städten Aus­stel­lungen in Museen besuchte, sich selten gespielte Opern in der „Provinz“ an­hörte oder sich inter­es­sante Insze­nie­rungen inno­va­tiver Regis­seure ansah.

Von diesen Reisen aus versandte er in großer Zahl Ansichts­karten und pflegte auf diese Weise seinen großen Freundes­kreis. Viele seiner Freunde schrieben mir, dass sie dies nun sehr ver­missen werden.

Die Vorbereitung der Reisen war ihm ein Genuss, das Fotografieren seine Leidenschaft und das Gestalten von Fotoalben eine große Freude.

Die letzte Reise im September 2015 mit der Mendels­sohn-Gesell­schaft war ihm besonders wichtig. Von Koblenz über Bingen nach Mainz – mit einem Vortrag von ihm. Anschließend fuhr er noch nach Bochum, um dort in der Jahr­hundert­halle sich das „Rheingold“ anzuhören.

Im Dezember 2014 erfuhr HGK, dass er Prostata­krebs hatte. Sein ganzes Leben über war er fast nie ernsthaft krank und ging regelmäßig zur Krebs­vorsorge. Im Januar 2015 begann die erste Chemo­therapie, weitere folgten. Es stellten sich gesund­heit­liche Erfolge ein, so dass er noch im September 2015 trotz Erkran­kung diese Reise für die Mendels­sohn-Gesell­schaft organi­sie­ren konnte. Der Erfolg dieser Reise gab ihm auch Kraft und machte ihm Mut, weiter gegen diese Krank­heit an­zu­kämpfen. Ende März 2016 wurde jedoch eine zusätz­liche Strahlen­therapie medi­zi­nisch not­wendig. Diese schwächte ihn sehr stark. Doch auch hier zeigte die Behand­lung posi­tive Wirkung, Krebs­zellen waren kaum wahr­nehmbar.
Am letzten Tag dieser Therapie besuchten wir mit ihm die Phil­harmonie, weil er unbe­dingt die 6. Sinfonie von Mahler, die „Tragische“, mit Tugan Sokhiev und dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin hören wollte. Er hatte diese Sinfonie schon neunmal gehört, wie er in der Partitur notierte, u. a. mit Bernstein, Maazel oder Karajan.
In der Woche vor Ostern war es geboten, dass er wegen seiner Schwäche in das Benjamin-Franklin-Krankenhaus eingeliefert wurde. Am Sonntag/Montag nach Ostern berieten wir mit ihm und den ihn be­handeln­den Ärzten, dass eine Anschluss­heil­behand­lung nach der Strahlen­therapie not­wendig sei, um ihn gesund­heitlich wieder fit zu machen. Die Stabi­li­sie­rung hatten ihm auch die Ärzte progno­sti­ziert. Doch diese stellte sich auch zwei Wochen nach Beendi­gung der Strahlen­therapie nicht merkbar ein.
In der Nacht zum Dienstag, dem 5. April, war dann das Immun­system kolla­biert und HGK lehnte jede weitere medi­zi­ni­sche Behand­lung ab. Inner­lich hatte er wohl für sich be­schlossen, jetzt los­zu­lassen und nicht mehr zu kämpfen. Er hatte bis zu­letzt gekämpft, gehofft, Pläne gemacht, Termine vereinbart…

Am Donnerstag, dem 7. April, hat er sich um 17.30 Uhr im Bei­sein seiner Freunde, die sich um ihn gekümmert hatten, von dieser Welt ver­ab­schiedet. Er starb bewusst, ruhig und mit sich im Frieden, im Wissen darum, dass er bis zuletzt ein erfülltes Leben gehabt hatte.

Uns bleibt die Erinnerung an einen beschei­denen, lebens­lustigen, humor­vollen, geist­reichen und kultur­vollen Menschen.

Hans-Günter, du fehlst uns.


Bild-Impressionen

© Detlef Mücke

Wildheit entsteht nicht in durchtanzten Nächten

von Tatjana Wulfert, Tagesspiegel, Nachrufe, 5.5.2016

Wir könnten“, schlägt ein Freund ihm vor, „einen Aus­flug mit den Rädern machen.“ – „Eine Fahr­rad­tour?“ – „Eine Fahr­rad­tour.“ – „Nein!“ – „Nein?“ – „Meine Mutter hat mich, als ich ein Junge war, auf ein Rad ge­zwungen und natür­lich bin ich bald gestürzt. Seit­dem habe ich mich auf keins mehr gesetzt.“ – „Aber womit hast du dich denn damals sonst be­schäf­tigt?“ – „Ich habe Gips in Streich­holz­schachteln ge­gos­sen und Mini­atur­land­schaften hinein­geritzt.“

Die Welt ist selbst aus einer Sau­bohne heraus­zu­lesen. Kein Raum, und mag er noch so winzig sein, begrenzt das Denken. Un­end­licher Kosmos auch im Kleinen. Von Klau­stro­pho­bie keine Spur, wenn Hans-Günter Klein in der Staats­biblio­thek sitzt, fast un­leser­liche Hand­schrif­ten ent­zif­fert und tran­skri­biert und kata­logi­siert; wenn ihn ein Kollege an­ruft, auf der Suche nach der Quelle für ein Mendels­sohn-Zitat und Hans-Günter Klein für Minuten in Kartei­kästen zu ver­schwin­den scheint, um dann wieder auf­zu­tauchen, mit der exakten Kombi­na­tion aus Zahlen und Buch­staben, unter der das ent­sprechen­de Buch zu finden ist; wenn er Woche für Woche in Thomas- Mann-Manier schmale Kalen­der mit den Gescheh­nis­sen des Tages füllt; wenn er ein Buch liest und mit Blei­stift auf der ersten Seite Ort und Zeit der Lek­tü­re notiert: „Fahrt Berlin – Paris – Hamburg, 1. Mai 1970“; wenn er in seinen Wagner- und Mozart- und Mahler­parti­turen fest­hält, wann und mit wem er welche Auf­führung ge­sehen hat, Mahlers Sechste zig Mal, zuletzt am 18. März, kurz nach der Strahlen­thera­pie, kurz vor dem Sterben, das Deutsche Symphonie-Orchester unter Tugan Sokhiev, diesen Diri­gen­ten hatte er noch er­leben wollen, unbedingt.

Und Felix Mendels­sohn Bartholdy. Wagner und Mozart hörte er zwar lieber, aber begeben hat er sich auf die Spuren Mendels­sohn Bartholdys. Und dessen Schwester Fanny Hensel. Akri­bisch, auf­merk­sam nach­forschend folgte er, während seiner Urlaube, ihrer Italien­sehn­sucht, lief über den prote­stan­ti­schen Fried­hof in Rom und fand den Grab­stein eines Bartholdy-Onkels, der in einer Auf­zeich­nung er­wähnt wird, bisher aber von nie­man­dem ent­deckt wurde.

„Er war ein Preuße durch und durch“, sagt ein Freund. „Aber ein un­kon­ventio­nel­ler“, fügt ein ande­rer mit Nach­druck hinzu. Wild­heit ent­steht nicht in durch­tanzten Nächten, Wild­heit ent­steht im Kopf. Die Wagner­welten, die Opern­spektakel in Bayreuth. Und dem gegen­über das Ein­tauchen in die Parti­turen in seinem Sessel zu Hause, Note für Note lesend.

„Jura“, hatte seine Mutter gesagt, „du wirst Jura studieren“, und er hatte nach­gegeben. In den Kreisen, aus denen er kam, sein Vater hatte eine Tuch­fabrik im Osten Berlins be­sessen, aber den Krieg nicht über­lebt, war es durch­aus ge­stattet, sich zu ver­gnügen, aber bitte in Maßen und immer mit Stil. Ordnung und Diszi­plin hießen die Leit­motive, also be­mühte er sich, lernte, las. Aber der Gesetzes­stoff wollte nicht in seinen Kopf. Viel lieber spielte er Geige. Oder kaufte sich Schall­platten und Kunst­bände und Theater­karten in Ost-Berlin, von dem Geld, dass die DDR als Wieder­gut­machung für die ver­lorene Fabrik ge­zahlt hatte.

Und viel­leicht summte er, während er eines Nach­mittages an der Hamburger Alster spazierte, leise eine Mozart­melodie, wissend, dass er eigent­lich noch den Kommen­tar zum BGB durch­zu­arbei­ten hatte, als ihm Kurt Hiller be­geg­nete, der ex­pressio­nisti­sche Dichter und Demo­krat und Kämpfer für die gleich­geschlecht­liche Liebe.

Im Gespräch mit Hiller ver­schwand der Zwie­spalt, die Dinge lagen klar jetzt vor ihm: Er gab das eine Studium auf, um das andere, das rich­tige zu be­ginnen, Musik­wissen­schaft, Kunst­geschichte, Philo­so­phie, was auch immer seine Mutter dazu sagen würde. Er promo­vierte, er ging an die Staats­biblio­thek, er wurde Biblio­theks­ober­rat. Und er sprach weiter mit Kurt Hiller, der ihm in seine Auto­bio­grafie schrieb: „Meinem Hans-Günter Klein, ohne dessen zähes Ermun­tern dieses Buch kaum zu­stande ge­kommen wäre, in starker dankes­voller Freund­schaft.“

Reisen. Schreiben. In der Hiller- und Mendels­sohn-Gesellschaft wirken. Die Magnus-Hirschfeld-Gesell­schaft in der weit­läufi­gen Charlotten­burger Wohnung gründen, in der furiose Feste gefeiert wurden, nachts Männer im Glitzer­fummel tanzten und tags um die Rechte der Schwulen rangen. Den Ver­gnü­gungen folgte Hans-Günter Klein vom Rande aus, in die poli­ti­schen Dis­kurse begab er sich mit wissen­schaft­lichem Ernst, das Ein­zelne im Blick und das Ganze.

Er läuft durch Rom, vorbei an monu­men­ta­len Bauten, schaut, sucht, nach dem klei­nen Brunnen, den Fanny Hensel vor 170 Jahren zeich­nete. Er bleibt stehen. Hier, auf diesem Platz müsste er doch sein. Über­all nur Gemüse­stände. Er setzt sich. Und plötz­lich schiebt ein Händler einen Stapel Kisten zur Seite: Der Brunnen erscheint.

Am 7. April starb Hans-Günter Klein. Sein Grab wird auf dem Drei­faltig­keits­fried­hof in Kreuz­berg sein, hinter den Gedenk­steinen für Felix Mendels­sohn Bartholdy und Fanny Hensel. In einem ihrer Briefe hatte sie einmal dem Bruder geschrieben: „Du fehlst einem, spät und früh.“


Foto | Detlef Mücke

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